In den beiden ersten Teilen der Reihe „Verschwörung im Kopf“ habe ich skizziert, was eine Verschwörungstheorie ist und ob es Personen gibt, die anfälliger für unwissenschaftliche Thesen sind als andere. Zudem bin ich auf populäre Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus eingegangen. Dies alles deckt die Theorie ab, doch in der Praxis wird es schwieriger. Wenn uns nahestehende Menschen nämlich plötzlich mit kruden Thesen von einer „anderen“ Wahrheit überzeugen wollen, heißt es, gut zuhören, recherchieren und Fakten einholen. Denn „[j]edes Argument gegen eine Verschwörungstheorie kann als Beweis dafür angesehen werden, dass Sie selbst Teil der Verschwörung sind, und Wasser auf deren Mühlen sein.“ (Quelle: EU-Kommission)
Wenn Sie in Ihrem Umfeld mit Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern konfrontiert sind, empfiehlt sich das aktuelle Buch von Ingrid Brodnig: Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online (Brandstätter-Verlag). Hierin beschreibt Brodnig, wie die Corona-Pandemie zu einer Flut an falschen Informationen geführt hat, und meint, es sei schwierig, jemanden vom Gegenteil und also der Wahrheit zu überzeugen, der tief drinnen stecke (vgl. Interview mit der Kleinen Zeitung vom 24.01.2021, S. 6).
Das Besondere als Anziehungspunkt und Halt: VerschwörungstheoretikerInnen verstehen
Menschen, die einsam sind oder/und nach Anerkennung und Gehör suchen, können leicht in Verschwörungskreise abdriften. Hier fühlen sie sich „unglaublich stolz auf sich selbst, weil sie meinen, sie haben die Wahrheit erkannt“ (Kleine Zeitung vom 24.01.2021, S. 7).
Die PsychologInnen Roland Imhoff und Pia Lamberty konnten „einen leichten Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit und Verschwörungsdenken“ (ebda) feststellen. Dieses Gefühl, besonders gescheit zu sein und etwas herausgefunden zu haben, sich demnach von der dummen oder naiven Masse abzuheben, kann Sicherheit bieten. Einer Verschwörungstheorie zu glauben, löst Ungewissheit und befreit von Grübeleien, was aktuell passiert und noch passieren wird/kann/muss, weil ein oder mehrere Sündenböcke gefunden wurden.
Bei sich selbst ansetzen
Bevor wir in Konfrontation mit Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern gehen, sollten wir unsere eigenen Ansichten überprüfen. Damit kann empathisches und strategisches Vorgehen gewährleistet bleiben, denn „[n]iemand ist frei von Vorurteilen oder Ängsten, die ihn oder sie empfänglich für Verschwörungstheorien machen könnten“ (Quelle: EU-Kommission). Die EU-Kommission und die UNESCO empfehlen, sich selbst die folgenden Fragen zu stellen (Quelle: EU-Kommission):
• Wo haben meine Ängste, Überzeugungen und Werte ihren Ursprung?
• Hand aufs Herz: Warum glaube ich das, was ich glaube?
• Worin bestehen meine Ängste, Überzeugungen und Werte? Wie wirken sie sich auf meine Entscheidungen und meinen Umgang mit Menschen aus?
• Habe ich Vorurteile und denke ich in Stereotypen? Warum?
• Fühle ich mich benachteiligt? In welcher Form?
• Muss ich jemand anderen dafür verantwortlich machen? Warum?
• Wie wähle ich meine Informationsquellen aus?
• Hat sich in der Corona-Krise daran etwas geändert?
Einfühlsam und empathisch Fragen stellen
Da eine Verschwörungstheorie sich meist aus einer Vielzahl an kleineren Verschwörungserzählungen zusammensetzt, kann es beim Diskutieren mit Anhängerinnen oder Anhängern leicht dazu kommen, sich von vermeintlichen Fakten erschlagen zu fühlen. Hier helfe laut Brodnig ein gezieltes Gegensteuern mit Fragen: Woher hast du das? Warum glaubst du das? Warum findest du diese Vorstellung interessant? Bist du verunsichert? (vgl. Kleine Zeitung vom 24.01.2021, S. 7)
Wichtig ist, sich nicht auf ein beleidigendes Niveau zu begeben und hämisch den anderen bloßstellen zu versuchen. (vgl. ebda) Vermitteln Sie, vor allem wenn die Verschwörungstheorie mit COVID-19 in Zusammenhang steht, Verständnis für die Betroffenen: Ja, das Virus und die Situation sind besorgniserregend. Es ist völlig normal, wenn wir nach Antworten suchen.
Die folgenden Punkte können bei der Begegnung mit Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern hilfreich sein (Quelle: EU-Kommission):
• Ein offenes Gespräch und Fragen anregen.
• Detaillierte Fragen zu ihrer Theorie stellen, um eine Selbstreflexion in Gang zu setzen.
• Ehemalige Verschwörungstheoretiker anführen, die früher einmal das Gleiche glaubten.
• Behutsam vorgehen und eine Vielzahl von Quellen rund um das Thema nennen.
• Nicht ins Lächerliche ziehen. Versuchen, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen.
• Einfühlungsvermögen zeigen. Vielleicht ist Ihr Gegenüber einfach nur ängstlich und in Not.
• Ein Schritt nach dem anderen. Konzentrieren Sie sich auf einfache Fakten und Logik. Keine unnötigen Details.
• Üben Sie keinen Druck aus. Massiver Druck kann nach hinten losgehen. Lassen Sie das Ganze sacken und versuchen Sie es dann erneut.
Präventives Widerlegen
Insbesondere beim Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, diese frühzeitig davor zu warnen, dass es Verschwörungstheorien gibt. Erklären Sie, was Fake News und Verschwörungstheorien sind und dass die populären Sozialen Netzwerke und Messenger-Dienste gerne von Einzelpersonen missbraucht werden, um unwissenschaftliche und nicht belegbare Thesen zu verbreiten.
Aufklärung hilft, der massiven Streuung von Unwahrheiten vorzubeugen.
Bestärken sie Betroffene im kritischen Denken, hinterfragen und regen Sie dazu an, Faktenchecks auf anerkannten Informationsseiten durchzuführen. Sprechen Sie mit Betroffenen über die Rechercheergebnisse und vergessen Sie nicht auf die Besprechung der Qualität der Quelle/des Fundorts.
EU-Kommission und UNESCO raten außerdem (Quelle: EU-Kommission):
• Konzentrieren Sie sich auf die Fakten, die Sie kommunizieren möchten, nicht auf das Lügenmärchen, das Sie aufdecken möchten.
• Gehen Sie zielgerichtet vor – Verfasser, Quelle oder Logik hinter der Verschwörungstheorie.
• Betonen Sie stets, dass die Informationen falsch sind, bevor Sie von einer Verschwörungstheorie sprechen.
• Bieten Sie eine faktengestützte alternative Erklärung an.
• Verdeutlichen Sie Ihre Sicht der Dinge möglichst anhand von Anschauungsmaterial.
Wenn nichts mehr hilft: Verschwörungstheorien melden
Brodnig rät zu Besonnenheit und stellt fest: „Die Meinung von anderen Menschen zu ändern, ist das Schwierigste auf der Welt. Niemand geht in eine Diskussion hinein, um danach die Welt anders zu sehen.“ (Kleine Zeitung vom 24.01.2021, S. 7) „Echte“ Menschen lassen sich also häufig nur schwer umstimmen. Gegen die Verbreitung von Falschinformationen kann allerdings einiges getan werden.
Die EU-Kommission rät gemeinsam mit der UNESCO bei Auffinden einer Verschwörungstheorie in Internet, Sozialen Medien oder Druckwerken zum folgenden Vorgehen (Quelle: EU-Kommission):
• In den Sozialen Medien:
o unter Anführung überprüfter Informationen (z. B. von Faktencheck-Websites) kommentieren
o den Post NICHT TEILEN
• Auf Websites und in Blogs:
o den Verfasser oder Web-Manager unter Anführung überprüfter Informationen kontaktieren und um Korrektur bitten
o die Website oder den Blog NICHT TEILEN
• In den Medien:
o Redaktionsleitung kontaktieren
o lokalen/nationalen Presserat oder Presse-Ombudsstelle kontaktieren
o das Material NICHT TEILEN
Über den richtigen Umgang mit der Informationsflut rund um das Coronavirus habe ich einen Beitrag geschrieben: „Wie mit Angst umgegangen und mit Kindern und Teenagern darüber gesprochen werden kann“.