Verschwörungstheorien und die Suche nach Antworten in Erklärungen, die nicht der Wahrheit der Masse und also dem Mainstream folgen, stellen sich seit rund einem Jahr als Krisenphänomen dar. In Zeiten, die von Unsicherheit, Belastungen und auch Beschränkungen durch Obrigkeiten geprägt sind, finden zahlreiche Menschen allerdings seit jeher Halt in Argumentationen und Theorien, die rational betrachtet und wissenschaftlich beleuchtet unhaltbar sind.
Die Reihe „Verschwörung im Kopf“ startet mit allgemeinen Erläuterungen und Definitionen zu Verschwörungstheorien: Warum boomen wissenschaftlich unhaltbare Thesen, was sind überhaupt Verschwörungstheorien und wer glaubt daran? Der zweite Teil der Reihe beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus und beschreibt Warnsignale für eine mit Corona in Zusammenhang stehende Verschwörungstheorie. Abschließend werden im April Möglichkeiten erläutert, die wir haben, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen, der durch eine Verschwörungstheorie geblendet scheint. Dabei wird die Frage beantwortet, ob es überhaupt möglich ist, Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker von der Realität zu überzeugen.
Warum Verschwörungstheorien boomen
Sinngemäß schreibt die EU-Kommission, die gemeinsam mit der UNESCO eine Initiative gegen schädliche und irreführende Verschwörungstheorien gegründet hat, um der Verbreitung abstruser Theorien in Corona- und Krisenzeiten Einhalt zu gebieten: „Vordergründig bieten sie [Verschwörungstheorien; Anm. d. Autorin] häufig eine logische Erklärung für komplexe Ereignisse oder Situationen und vermitteln ein falsches Gefühl von Kontrolle und Deutungshoheit. Dieses Bedürfnis nach klaren Verhältnissen ist in Zeiten von Corona besonders stark ausgeprägt.“ (Quelle: EU-Kommission)
Eine historische Betrachtung zeigt, dass es in Krisenzeiten häufig zu einem Aufflammen vielfältiger Theorien und Erklärungsversuche gekommen ist. „In den USA und auch in Europa zeigen Studien mittlerweile, ‚dass ein Drittel bis sogar die Hälfte der Menschen an zumindest eine Verschwörungstheorie glaubt‘“, meint der Innsbrucker Historiker Claus Oberhauser (Quelle: Science.orf.at).
Die modernen Möglichkeiten der Verbreitung anhand Sozialer Medien, alternativer und parawissenschaftlicher Seiten im Internet sowie populistischer Reden einzelner Politikerinnen und Politiker führt zu einer Verstärkung dieser Tendenzen. Gruppierungen und Parallelgesellschaften sind heute so einfach zu finden wie noch nie, der Anschluss an soziale Gefüge, die absichtlich gegen die Masse aufbegehren, fällt leicht. Dadurch konnten sich schon vor Corona in den vergangenen Jahren Verschwörungstheorien vervielfachen und rasant verbreiten. Corona und die Jagd nach Antworten auf offene Fragen haben den Trend noch einmal beschleunigt, da die Gegenwart für viele unbegreiflich ist und die persönliche Freiheit kurzfristig eingeschränkt erscheint.
Was ist überhaupt eine Verschwörungstheorie?
Als Verschwörungstheorie zu identifizieren, sind solche Erzählungen, die vorgeben, von einer (elitären) Gruppe im Hintergrund/Untergrund zu wissen, die einen dunklen Plan verfolgt. Hier gilt es, hellhörig zu werden. Eine Verschwörungstheorie ist die „Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen von geheimen Mächten in negativer Absicht manipuliert werden“ (Quelle: EU-Kommission). Demnach definieren sich Verschwörungstheorien anhand der sechs folgenden Eigenschaften:
1. Eine angebliche, geheime Verschwörung.
2. Eine Gruppe von Verschwörern.
3. „Beweise“, die die Verschwörungstheorie zu stützen scheinen.
4. Sie suggerieren, dass nichts von ungefähr geschieht, und dass es keine Zufälle gibt; nichts ist, wie es scheint — und alles gehört zusammen.
5. Sie unterteilen die Welt in Gut und Böse.
6. Sie machen bestimmte Menschen oder Gruppen zu Sündenböcken.
(Quelle: EU-Kommission)
Wer sich für die sieben populärsten Verschwörungstheorien aller Zeiten interessiert, wird in Dokumentationen fündig. Eine ZDF-Dokumentation stellt die folgenden Verschwörungstheorien auf den Prüfstand: die 9/11-Verschwörung, die Protokolle der Weisen von Zion, die gestellte Mondlandung, der angebliche Mord an Prinzessin Diana, die Pearl-Harbor-Verschwörung, die Chemtrail-Theorie und das zweite Leben von Musiklegende Elvis Presley. (Quelle: ZDFinfo-doku)
Wer glaubt daran?
Das Gefährliche an Verschwörungstheorien ist, dass jede und jeder anfällig ist. Verschwörungstheorien und ihren Anhängerinnen und Anhängern kann überall begegnet werden. Das ist besonders belastend, wenn Freundinnen, Freunde, Bekannte oder Familienangehörige einer Verschwörungstheorie anheimfallen.
Es gibt keinen bestimmten Menschentyp mit einem spezifischen Habitus, keine soziale Schicht oder politische Situierung, die falschen Fakten mehr oder weniger abgeneigt wäre. Obwohl Aufklärung hilft, gibt es auf einigen Gebieten sogar wissenschaftliche „ExpertInnen“, die ihre Anhängerinnen und Anhänger „anführen“ (z. B. praktizierende Ärztinnen und Ärzte, die gegen Impfungen und Maskenpflicht mobilisieren).
Tatsächlich glauben die meisten Anhänger und Anhängerinnen auch wirklich daran, dass die jeweilige Verschwörungstheorie wahr ist. Es ist schwierig, sie vom Gegenteil zu überzeugen, denn sie sind zutiefst von ihrer Meinung durchdrungen, die ihr Weltbild prägt. (Quelle: EU-Kommission) „Manche wiederum wollen bewusst provozieren, andere aus politischen oder finanziellen Gründen manipulieren oder ins Visier nehmen.“ (ebda)
Informativ ist ein Gespräch mit einer ehemaligen Verschwörungstheorie-Anhängerin, das die FAZ geführt hat. Im Zuge der Hintergrundrecherche wurde dargelegt, dass „Ungereimtheiten rund um die Anschläge des 11. September 2001 […] für viele Menschen der Einstieg in die Szene [sind]. Vier Prozent der Amerikaner glauben, dass Reptilienwesen, die eine menschliche Gestalt annehmen können, die Welt beherrschen. Hillary Clinton etwa soll ein solcher Reptiloid sein. In Deutschland sorgten zuletzt vor allem rechtsradikale Verschwörungstheoretiker wie die Reichsbürger für Aufregung, die glauben, das Deutsche Reich existiere fort, und die sich deshalb nicht an die Gesetze der Bundesrepublik gebunden sehen. Über die Chemtrail-Bewegung hätten rechtsradikale Verschwörungstheoretiker versucht, die Umwelt- und Friedensbewegung an die rechte Szene zu binden. Die [von Flugzeugen, Anm. d. Autorin] versprühten Gifte sollten mal den Klimawandel bremsen, aber ungewollte Folgen haben, mal die Gedanken der Menschen steuern oder sie schwul und lesbisch machen – die Anhänger der Chemtrail-Theorie sind sich da nicht ganz einig.“ (Lesen Sie mehr auf FAZ.net)
Der nächste Teil der Reihe „Verschwörung im Kopf“ beschäftigt sich mit Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus und beschreibt Warnsignale für eine mit Corona in Zusammenhang stehende Verschwörungstheorie. Abschließend werden im April Möglichkeiten erläutert, die wir haben, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen, der durch eine Verschwörungstheorie geblendet scheint. Dabei wird die Frage beantwortet, ob es überhaupt möglich ist, Verschwörungstheorien zu entkräften.