Die Coronakrise und ihre mittel- und langfristigen Auswirkungen sind an niemandem spurlos vorübergegangen. Ob im positiven wie im negativen Sinn sind unser Leben und Alltag seit dem Frühjahr 2020 geprägt von Veränderung, (Um-)Organisieren, Stress oder (zu viel) Ruhe und immer: Anpassung an Ungewohntes. Wie bei jedem Thema, so gilt auch hier, dass die neuen Anforderungen abhängig von der individuellen Situation als positive Herausforderung oder negative Überlastung empfunden werden können.
Diesbezügliche Erkenntnisse zeigen bereits jetzt, dass die Coronakrise nicht nur auf schon zuvor psychisch instabile Menschen negative Auswirkungen hatte, sondern dass auch völlig gesunde Menschen Symptome seelischer Belastung entwickelt und erfahren haben. Nur manche profitierten von den Maßnahmen (z. B. bei Burn-out, sozialen Ängsten, generalisierten Angststörungen) (siehe dazu auch KL-Universität, online). Selbst Menschen, die resilient sind (siehe meine Beiträge zur Resilienz), können nicht mehr so auf diese innere Widerstandsfähigkeit zurückgreifen, wie sie es gewohnt sind.
Eine Studie des internationalen Forschungsprojektes der Europäischen Traumaforschungsgesellschaft (ESTSS) zielt darauf ab, die Schwierigkeiten und Bedürfnisse in elf europäischen Ländern im Verlauf der Pandemie zu erfassen und zu vergleichen. Interessanterweise wird hier bereits deutlich, dass unabhängig davon, ob die Lockdown-Maßnahmen als wohltuend oder belastend empfunden wurden, sich dennoch „[n]ahezu alle … müde, schlapp und leicht gestresst [fühlen]“ (Online).
Insbesondere sind es abermals Frauen, die ein Mehr an Leistungen erbringen müssen, da sie, gesellschaftlich bedingt, auch heute noch verstärkt die Verantwortung für familiäre und schulische Belangen, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen, Haushaltsführung und -organisation übernehmen. Unzählige kamen in den letzten Monaten und kommen weiterhin an ihre körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen. Bei derart vielen (neuen) Aufgaben bleibt oftmals kaum Zeit, sich mit sich selbst und einer etwaigen Überforderung auseinanderzusetzen oder diese überhaupt anzuerkennen. Psychische Probleme, die als behandlungswürdig einzustufen sind, werden deshalb vermehrt verzögert erkannt und können, wenn überhaupt, erst verspätet adäquat behandelt werden.
Egal, ob es sich um finanzielle Sorgen, den Verlust des Arbeitsplatzes, Homeoffice zwischen Kinderbetreuung und Haushalt, Streitereien und Dispute innerhalb der Familie, physische und/oder psychische Gewalt oder um die Folgen sozialer Isolation und Einsamkeit handelt, insbesondere, dass nicht klar ist, wann wieder mit einer Normalität zu rechnen ist, die unserem Alltag vor Corona gleicht, führt zu (pausenlosen) Unruhezuständen, bewussten und unbewussten unbeantworteten Fragen sowie zu Unordnung im Außen und Innen. Die Folgen können Erschöpfung, depressive Verstimmungen bis hin zu leichten oder schweren Depressionen sein, allgemeine und spezifische Ängste sowie Einschlaf- und Durchschlafstörungen treten vermehrt auf, Suchtverhalten wird eher nachgegeben, Alkohol- oder Drogenkonsum können steigen, erreichte Verbesserungen wieder zunichte gemacht werden.
Was jetzt wichtig ist
Horchen Sie in sich hinein und nehmen Sie sich, Ihr Lebensumfeld und Ihre Empfindungen ernst! Ihre emotionale und psychische Unversehrtheit und Gesundheit sind ebenso wichtig wie die körperliche. Wenn Sie sich – auch nur teilweise – in den Beschreibungen dieses Artikels wiedergefunden haben, mit und in Ihrem Leben seit Beginn und/oder im Verlauf der Coronakrise unwohl fühlen, den Lebenssinn vermissen, mit Gewalt konfrontiert sind, wenn Sie Symptome einer Überlastung und Belastung verspüren, sich unwohl und ruhelos fühlen, nicht mehr schlafen können und vielleicht körperliche Schmerzen haben, werden Sie jetzt aktiv. Besprechen Sie sich mit einer Vertrauensperson, suchen Sie Ihre Hausärztin, Ihren Hausarzt oder Therapeutinnen und Therapeuten auf, diese werden Sie ernstnehmen und können Ihnen anhand vielgestaltiger Methoden und Inputs die Möglichkeit bieten, Ihnen zu neuer Klarheit, Erholung und Verbesserung Ihres Wohlbefindens zu verhelfen. Wenn Sie Fragen dazu haben, können Sie auch gerne mich kontaktieren. Immer gilt: Scheuen Sie sich nicht vor einem Schritt, der notwendig und gesund ist.
Links und Kontakte (anonym und kostenfrei):
Ratschläge und weiterführende Informationen des Öffentlichen Gesundheitsportals Österreich: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/corona-psyche
Die Befragung zu „Wohlbefinden und Umgang mit der Coronavirus (COVID-19)-Pandemie“ kann Ihnen u. a. etwaige persönliche Schwierigkeiten aufzeigen: https://lime2.zis-hamburg.de/index.php/126452?lang=de
Telefon-Seelsorge österreichweit, rund um die Uhr erreichbar: 142 à auch per Chat: http://www.telefonseelsorge.at
Für Eltern, Familien, Kinder und Jugendliche: Rat auf Draht, rund um die Uhr erreichbar: 147 à https://www.rataufdraht.at
Ö3-Kummernummer, täglich von 16 bis 24 Uhr: 116 123 à https://oe3.orf.at/kummernummer/stories/2712988
Opfer-Notruf, rund um die Uhr erreichbar: 0800 112 112 à https://www.opfer-notruf.at
Frauen-Helpline gegen Gewalt, rund um die Uhr erreichbar: 0800 222 555 à http://www.frauenhelpline.at
Notruf für Gehörlose und Hörbehinderte: Fax oder SMS an Polizei 0800 133 133 oder per Mail an gehoerlosennotruf@polizei.gv.at