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Wenn die eigene Kindheit eine Herausforderung war

Viele tragen nicht nur einen Rucksack an Gepäck mit sich, den sie begonnen haben, in ihrer Kindheit zu füllen, sondern gefühlte tonnenschwere Säcke. Das trifft etwa auf „Erwachsene Kinder von Alkoholikern oder/und aus dysfunktionalen Familien“ zu. Im englischen Sprachraum insbesondere unter „ACoA“ bekannt, werden die synonymisch gebrauchten Bezeichnungen ACA, ACoA und „Adult Children Anonymous & Adult Children of Alcoholics and Dysfunctional Families“ auch im Deutschen gebraucht. Angesprochen werden (genesende) Erwachsene, die Kinder von Alkoholikern, Drogenabhängigen, Co-Abhängigen, von Süchtigen aller Arten sind oder/und aus dysfunktionalen Familien stammen – kurz „Erwachsene Kinder“ genannt.

 

Häufig waren diese Menschen in ihrer Kindheit betroffen von körperlichem, psychischem und/oder sexuellem Missbrauch, emotionaler Vernachlässigung, Beschämungen und Verlassenwerden. Da international betrachtet die Zahl der Betroffenen sehr hoch ist, können die Wege der Genesung und Heilung als fortschrittlich und forschungsintensiv bezeichnet werden. Es gibt tatsächlich gute Möglichkeiten, Betroffenen zu helfen.

 

Die „Erwachsenen Kinder“ aus dem skizzierten Umfeld weisen häufig ähnliche Charaktereigenschaften auf. Falls Sie in einer Familie aufgewachsen sind, auf die oben beschriebene Merkmale zutreffen, werden Sie sich vermutlich in einigen der 13 Punkte, die Janet G. Woititz im Jahr 1983 in Adult Children of Alcoholics erstellt hat, wiederfinden:

 

1.      Ihnen ist oft unklar, was „normales“ Verhalten ist.

2.      Sie haben Schwierigkeiten, etwas von Anfang bis zum Ende zu verfolgen und durchzuhalten.

3.      Sie lügen, selbst wenn es genauso einfach wäre, die Wahrheit zu sagen.

4.      Sie urteilen gnadenlos über sich selbst.

5.      Sie haben Schwierigkeiten, Spaß zu haben.

6.      Sie nehmen sich selbst sehr ernst.

7.      Sie haben Schwierigkeiten mit intimen Beziehungen.

8.      Sie zeigen Überreaktionen auf Änderungen, auf die sie keinen Einfluss haben.

9.      Sie sind ständig um Zustimmung, Anerkennung und Bestätigung bemüht und suchen regelrecht danach.

10.  Sie fühlen, dass sie sich von anderen Menschen unterscheiden.

11.  Sie handeln extrem verantwortungsbewusst oder im Gegenteil extrem verantwortungslos.

12.  Sie sind äußerst loyal, auch wenn Beweise vorliegen, dass die Loyalität unverdient ist.

13.  Sie sind impulsiv.

 

Allgemein neigen „Erwachsene Kinder“ dazu, sich selbst und ihre Handlungsweise einzuschränken, ohne alternative Verhaltensweisen oder mögliche Konsequenzen ernsthaft zu berücksichtigen. Dies führt häufig zu Verwirrung in ihrem Umfeld, zu Selbstverachtung und dem Verlust der Kontrolle über ihre Umgebung. In einem Zuhause mit Alkoholismus, Abhängigkeit oder/und Vernachlässigung aufzuwachsen, nährt das Gefühl, nie zu wissen, was man von heute auf morgen zu erwarten hat. Haben ein oder beide Elternteile mit der Sucht zu kämpfen, ist das einzig Konsistente im Leben eines Kindes die Unvorhersehbarkeit.

 

Kinder, denen zu wenige oder im schlechtesten Fall keine emotionalen Bedürfnisse erfüllt wurden, die in ihren prägendsten Jahren nicht kindgerechte Herausforderungen zu bewältigen hatten, neigen zu verzerrten Verhaltensweisen und haben auch im späteren Leben Schwierigkeiten damit, auf sich selbst Acht zu geben. Müssen derart massive Eingriffe in der kindlichen und jugendlichen Entwicklungszeit erlebt und verarbeitet werden, kann es schwierig (oder unmöglich) sein, auch als Erwachsener eigene Bedürfnisse zu befriedigen oder/und gesunde und vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehungen zu entwickeln. Wird Vertrauen in seinen Grundfesten erschüttert, werden Gefühle der Trauer, Angst und des Zorns häufig negiert werden, um zu überleben, dann passiert es, dass ungelöste Gefühle immer wieder auftauchen und sich im Erwachsenenalter manifestieren. In Hinsicht auf Beziehungen kann es vorkommen, dass Erwachsene Kinder sich an dem orientieren, was sie kennengelernt haben und sich an Alkoholabhängige, Abhängige oder Personen mit sonstigen Persönlichkeitsstörungen binden. Hier beginnt der Leidensweg von Neuem, weshalb es für die körperliche wie emotionale Gesundheit unerlässlich ist, aus diesen Verhaltensweisen und Neigungen herauszufinden.

 

Der Vorteil aller Erkenntnis ist, dass Erwachsene Kinder jetzt erwachsen und kein hilfloses Kind mehr sind. Die Lösung liegt oftmals in einer sog. „Neu- oder Selbstbeelterung“ und in einem Auseinandersetzen mit dem Inneren Kind. Jeder Mensch hat bestimmte Vorstellungen an Elternrollen. Wenn nun die Realität nicht mit den Wunschvorstellungen übereinstimmt, „sind die Botschaften, die man als erlebte Rollen gespeichert hat, ganz anderer Natur“ (Stelzig, 2017, S. 45). Innerhalb der Therapie kann dabei geholfen werden, „auf die angeborenen Rollen der guten Mutter und des guten Vaters [zurückzugreifen], um ein Gegengewicht zu den vielleicht schlechten Erlebnissen mit den leiblichen Eltern zu schaffen“ (Stelzig, 2017, S. 45).

Gemeinsam können wir uns mit den Erlebnissen aus der Kindheit auseinandersetzen, sie professionell verarbeiten und Heilung schaffen. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Im Dezember-Blog beschreibe ich außerdem die Möglichkeiten, in einem 12-Schritte-Programm zu sich selbst und zu Frieden mit dem Erlebten zu finden.

 

Literatur: Stelzig, Manfred. (2017). Das angeborene Rollenrepertoire, die Interaktionserwartungen und die impliziten Elternrollen. In Gabriele Biegler-Vitek & Monika Wicher (Hrsg.), Theorie und Praxis der Psychodrama-Psychotherapie. In der Anwendung mit Eltern, Kindern und Jugendlichen (S. 29–51). Wien: facultas.

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Michaela Legl-Bruckdorf, B.A., MSc

Psychotherapeutin 

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